Einstieg in die Gesundheitskompetenz
Der Kabarettist Werner Koczwara hat mal gesagt, sollte jemand aus Deutschland gefragt werden, welchen Satz er in seinem Leben am häufigsten gehört hätte, dann wäre es nicht „God save the Queen“ wie bei den Briten, oder „Liberté, Égalité, Fraternité“ wie bei den Franzosen, sondern vermutlich die Floskel „Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“. Omnipräsent im deutschen Fernsehen seit dem Arzneimittelgesetz von 1990 und besonders einprägsam durch die rasante Geschwindigkeit, in der der verpflichtende Disclaimer vorgelesen wurde, hat dieser Slogan seinen Weg in die Ohren, und ganz eventuell auch Herzen, der Deutschen gefunden. Als der galant von der Zunge rutschende Werbespruch dann letztes Jahr geändert wurde – vermutlich, weil irgendwann irgendwem - aufgefallen ist, dass in Deutschland auch Frauen den Beruf der Ärztin oder der Apothekerin ausüben – war das auch direkt mehrere Nachrichtenmeldungen in Presse und Internet wert.
„Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und…“ – dieser Spruch ist bis heute sinnbildlich für Gesundheitskompetenz. Ursprung war ein Gutachten der Universität Mainz, dass Menschen sich im Zusammenhang mit entsprechenden Fragestellungen primär bei Ärzt*innen und Apotheker*innen informieren1. Die Anekdote um den bekannten Werbespruch verdeutlicht ein grundlegendes Element der Gesundheitskommunikation in Deutschland: die Betonung der Eigenverantwortung und der aktiven Rolle jedes Einzelnen in der Gestaltung seiner Gesundheitsversorgung. Diese Fähigkeit, gesundheitsrelevante Informationen zu verstehen, zu bewerten und zu nutzen, ist entscheidender denn je in einer Zeit, in der das Gesundheitssystem konfrontiert ist mit einer Flut an Informationen, digitalen Gesundheitsanwendungen und einem sich wandelnden Verständnis der Rolle der Krankenkassen.
Der aktuelle Stand der Gesundheitskompetenz in Deutschland
Vor diesem Hintergrund stehen die Krankenkassen heute vor Herausforderungen, die weit über die bloße Kostenerstattung hinausgehen. In einer Gesellschaft, in der chronische Krankheiten zunehmen und die demografische Entwicklung eine immer älter werdende Bevölkerung vorhersagt, wird die Fähigkeit, Bürgerinnen und Bürger zu befähigen, informierte Entscheidungen über ihre Gesundheit zu treffen, immer wichtiger.
Mehr als die Hälfte der Bevölkerung (58,8% laut HLS-GER 2 Studie der Universität Bielefeld aus 2021) hat dabei erhebliche Schwierigkeiten im Umgang mit Gesundheitsinformationen. In besonderem Maße betroffen sind hier vulnerable Gruppen wie die mit niedriger Bildung, niedrigem Sozialstatus, Migrationshintergrund oder chronischen Erkrankungen2. Nachholbedarf besteht explizit in der digitalen Gesundheitskompetenz, also der Fähigkeit zum Umgang mit digital zur Verfügung stehender, gesundheitsrelevanter Information und digitaler Technologie3. Etwas mehr als drei Viertel der Bevölkerung in Deutschlang (75,8%) verfügt über eine problematische oder inadäquate digitale Gesundheitskompetenz2.
Relevanz des Themas für die gesetzliche Krankenkasse
Spätestens hier liegt die Relevanz des Themas für Krankenkassen auf der Hand: Versierte Versicherte, die in der Lage sind, Gesundheitsinformationen zu verstehen, kritisch zu bewerten und darauf basierend fundierte Entscheidungen zu treffen, stellen einen wesentlichen Faktor für ein effizientes und nachhaltiges Gesundheitssystem dar. Durch die Förderung der Gesundheitskompetenz können Krankenkassen nicht nur die individuelle Gesundheit ihrer Mitglieder verbessern, sondern auch langfristig die Kosten im Gesundheitssystem senken. Versicherte mit hoher Gesundheitskompetenz tendieren dazu, präventive Maßnahmen stärker zu nutzen, Krankheiten frühzeitig zu erkennen und Behandlungen effektiver zu gestalten, was zu einer Verringerung unnötiger Arztbesuche, Krankenhausaufenthalte und teurer medizinischer Behandlungen führt4. Zum Thema der digitalen Gesundheitskompetenz ist den Kassen im SGB V sogar ein Auftrag zum Fördern der solchen im Kreis ihrer Versicherten mitgegeben (§20k).
Und selbst ohne diesen gesetzlichen Auftrag sollte es in Kassen die intrinsische Motivation geben, sich dem Thema Gesundheitskompetenz zuzuwenden. Slogans wie „Vom Verwalter zum Gestalter“ oder „Vom Payer zum Player“ sind im Kontext GKV seit der Jahrtausendwende präsent5,6, und obwohl die Kassen bereits mehr als einen ersten Schritt in dieser Richtung getan haben, ist der Weg noch lange nicht zu Ende gegangen. Wenn wir darüber reden, dass zukünftig „shared decision making“ die Regel und nicht die Ausnahme im Gesundheitswesen sein soll, dann ist es umso relevanter, dass Versicherte auch verstehen, was um sie herum passiert.
Denn das Gesundheitssystem in Deutschland wird immer komplexer, in einem immer rasanteren Tempo. In den letzten Jahren zogen vermehrt digitale Themen wie E-Rezept, elektronische Patientenakte (ePA) und digitale Gesundheitsapps in das Tagesgeschäft von Arztpraxen und Krankenkassen ein – parallel dazu bleiben Versicherte mit mangelnder digitaler Gesundheitskompetenz „auf der Strecke“.